Die Studie ist veröffentlicht auf dem Hochschulschriftenserver der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt:
https://doi.org/10.17904/ku.opus-957
„Wissenschaft als Ideologie“, „Expertokratie“, „Missbrauch der Wissenschaft“ – die Corona-Pandemie hat die ohnehin vorhandene Wissenschaftsskepsis in Teilen der Öffentlichkeit weiter verstärkt. Insbesondere antiliberale, demokratiefeindliche und systemzersetzende Kräfte schüren das Bild, Wissenschaft würde mit einer vermeintlichen „einzigen Wahrheit“ die Politik lenken, um eigene Interessen durchzusetzen. Dabei spiegelt diese Wahrnehmung häufig Missverständnisse oder mangelndes Wissen über die tatsächliche Rolle und Kommunikation wissenschaftlicher Institutionen wider. Hochschulen und Forschungsorganisationen befinden sich in einem Spannungsfeld: Sie sind nicht nur Wissensvermittler, sondern auch Akteure, die sich in einer immer stärker polarisierten Gesellschaft legitimieren und positionieren müssen.
Wie kommunizieren diese Institutionen mit der Politik? Ist wissenschaftliche Politikberatung neutrale Vermittlung von Forschungserkenntnissen oder vielmehr strategische Interessenvertretung? Und wie können Hochschulen und Forschungseinrichtungen ihre Stimme wirksam erheben, um sowohl Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken als auch politische Entscheidungen mitzugestalten? Diesen Fragen nachzugehen, ist angesichts der bestehenden Forschungslücke nicht nur für die wissenschaftliche Auseinandersetzung relevant. Die Antworten sind auch für Kommunikationsverantwortliche und Leitungen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen von essenzieller Bedeutung.
Die Dissertation untersucht die politische Interessenvertretung von Hochschulen und außeruniversitären Forschungsorganisationen und deren Verbünden in Deutschland. Im Zentrum steht die Frage, inwieweit diese Institutionen strategische Kommunikation nutzen, um ihre Interessen gegenüber der Politik zu vertreten. Wissenschaftslobbying wird hierbei als Teilbereich der strategischen Organisationskommunikation betrachtet, eingebettet in gesellschaftliche, organisationale und individuelle Handlungsebenen.
Ein integratives theoretisches Konzept kombiniert kommunikationswissenschaftliche Ansätze mit gesellschaftstheoretischen Perspektiven. Das daraus entwickelte Modell eines „Lobbying-Kreislaufes“ beschreibt politische Interessenvertretung als zyklischen Prozess, der analytische Einordnung, strategische Entscheidung und operative Umsetzung umfasst. Empirisch basiert die Arbeit auf einer qualitativen Vorstudie mit 18 Leitfadengesprächen sowie einer quantitativen Erhebung unter Kommunikationsverantwortlichen von 645 Wissenschaftseinrichtungen, von denen 100 Fragebögen ausgewertet wurden.
Die Ergebnisse zeigen ein heterogenes Bild: Während wenige Institutionen als Lobbying-Aktive strategisch und professionell vorgehen, scheitern viele als Lobbying-Passive an organisatorischen Hürden. Die Mehrheit der Hochschulen und Forschungsorganisationen lehnt Lobbying offiziell ab, obwohl sie de facto eigene Interessen vertreten. Ein zentraler Befund ist, dass die Kommunikation mit der Politik oft allein der Einrichtungsleitung obliegt, während Kommunikationsverantwortliche kaum eingebunden werden. Zudem mangelt es an strategischer Planung und interner Abstimmung.
Auch bei den Hochschulverbünden zeigt sich ein uneinheitliches Bild: Nur ein Viertel der Befragten stuft ihren wichtigsten Verbund als Lobbyverband ein, und die Mehrzahl ist unzufrieden mit dessen Arbeit. Ressourcendefizite wie fehlende Büros in Landeshauptstädten, mangelnde Budgets und unzureichende Vernetzungsmaßnahmen erschweren eine effektive Interessenvertretung. Verbünde werden zudem häufig von den Leitungen der Mitgliedsorganisationen dominiert, deren Eigeninteressen die strategische Ausrichtung der Verbände behindern. Dieses strukturelle Ungleichgewicht führt dazu, dass die Stimmen der Verbünde in der Politik kaum Gehör finden.
Die Studie hebt die Relevanz von Lobbying als gesellschaftliche Funktion hervor und fordert eine stärkere Integration in die Organisationskommunikation sowie die Professionalisierung von Verbänden. Hierfür hält sie konkrete Handlungsempfehlungen bereit. Die Untersuchung schließt mit einem Appell für mehr empirische Forschung zu den Wirkungen von Lobbying und dessen Wahrnehmung in Politik und Öffentlichkeit.
Auf einen Blick
Graphic Recording des Vortrags auf dem Forum Wissenschaftskommunikation am 6. Oktober 2021
Posterpräsentation im Rahmen des Young Researcher's Day an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt im Juli 2022